Warum wir eine Bauwende brauchen

Ohne drastische Veränderungen im Bauwesen werden wir die Pariser Klimaziele verfehlen. Unsere Gebäude weltweit sind für 38 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich, deutschlandweit 30 Prozent. Dies inkludiert einerseits den Bau als auch den Betrieb – Warmwasser, Heizen, Strom und Klimaanlagen –  der Gebäude. Neben dem enormen Ressourcenverbrauch in der Baubranche ist die Recyclingsrate sehr gering.

 

„In der EU verursacht der Bausektor über 35 % des gesamten Abfallaufkommens und ist für rund 50 % der gesamten Rohstoffgewinnung verantwortlich. Die erforderliche Reduktion der CO2-Emissionen und des Ressourcenverbrauchs stellt die Baustoffindustrie vor große Herausforderungen.“ so eine Studie zur Kreislauffähigkeit unserer Baustoffe.

Alleine in Deutschland werden pro Jahr rund 517 Millionen Tonnen mineralische Rohstoffe verbaut, darunter Kalk, Gipsstein, Kies und Sand. Hinzukommen noch rund 200 Millionen Tonnen Abfälle durch den Bau neuer und auch den Abriss/Renovierung alter Gebäude. Damit ist das Bauwesen mit 53 Prozent laut Statistischem Bundesamt der größte Müllproduzent. Nicht zu vergessen der Flächenfraß durch Neubauten, die für 70 Prozent der jährlichen Bodenversiegelung verantwortlich zeichnen.

„Wir sind wirklich eine Schlüsselbranche für mehr Klimaschutz“

Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie

 

Der Anteil grauer Energie

Die Energie, die benötigt wird, um eine Gebäude vom Fundament bis zum Dach zu errichten, wird graue Energie genannt. Dies inkludiert auch die Herstellung der benötigten Baumaterialien, wobei besonders die Produktion von Beton sehr klimaschädlich ist, weil es einerseits den immer knapper werdenden Rohstoffs Sand/Kies enthält und andererseits die Herstellung vom Bindemittel Zement hohe Treibhausgasemissionen erzeugt. Die graue Energie beinhaltet auch den Abriss und die Entsorgung der anfallenden Baumaterialien. Laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung steht diese für im Schnitt ein Viertel der Gesamtemissionen eines konventionell gefertigten Gebäudes.

 

https://news.pro.earth/2023/05/08/nachhaltig-bauen-was-heisst-das-eigentlich/

Das liebe Geld und der fehlende Wille

Gerade in der Baubranche wird auf jeden Euro geachtet und viele Baustoffe, die nicht nachhaltig sind, sind leider in der Anschaffung billiger als klimaschonende. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wärmedämmung mit Styropor, die billiger ist, allerdings mit hohem – auch finanziellem – Aufwand in 20-30 Jahren von den Häusern entfernt und speziell entsorgt werden muss. An diesem Beispiel lässt sich das Dilemma ganz gut zeigen, das die Architektin Ragnhild Klußmann so beschreibt:

„Die Wirtschaftlichkeitszyklen sind immer kürzer geworden. Hat man früher ein Gebäude über 30 Jahre betrachtet, sagt jeder Investor heute, dass es sich nach sieben bis zehn Jahren schon amortisiert haben soll.“ Bei dem hohen wirtschaftlichen Druck sei es schwierig, nachhaltig, langfristig und qualitativ hochwertig zu bauen – ohne dabei viel teurer zu werden.

 

Lösungen müssen her

Ideen und Ansätze gibt es zu Hauf. Auch auf EU-Ebene ist das Problem bekannt: „Unsere Gebäude verursachen 40 Prozent unserer Emissionen. Sie müssen weniger verschwenderisch, weniger teuer und nachhaltiger werden.“, so die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen.

Es gibt auch auf vielen Ebenen Lösungsvorschläge, zum Beispiel vom Bund Deutscher Architekten, der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und  dem Verein Architects for Future (AFF).

„Es ist wie beim Marathon“, meint Christine Lemaitre, Chefin der DGNB. „Es gibt viele, die es einfach und konsequent machen und wir haben einen großen Teil, der sich gerade erst auf den Weg gemacht hat.“

„Reduzieren, wiederverwerten, recyceln“ ist ein ganz wichtiger Aspekt im nachhaltigen Bauen. Der Verein AFF sieht die Politik gefragt und hat auch eine Petition, die von über 50.000 Menschen unterzeichnet wurde, zum Thema eingebracht. Darin fordert AFF u.a., dass die gesetzlichen Mindeststandards für nachhaltiges Bauen heraufgesetzt werden, die heute nicht einmal die grauen Emissionen im Gebäudeenergiegesetz berücksichtigen, kritisiert Burgbacher. Architects for Future vertreten die Meinung, dass nachhaltiges Bauwesen nur mithilfe von Gesetzesänderungen, neuen Gesetzen oder gezielten Förderprogrammen umgesetzt werden kann: „Nachhaltiges Bauen muss raus aus der nice-to-have Ökonische.“

 

Einige wesentliche Forderungen sind

  • das Arbeiten mit Vorhandenem statt Neues auf die grüne Wiese zu setzen,
  • nachhaltige Baustoffe viel stärker einzusetzen
  • Materialien sollten abbaubar und recyclebar sein
  • Urban Mining – dies meint die Wiederverwertbarkeit von Materialien aus bestehenden Gebäuden
  • Neue Regeln für Gebäudesanierungen
  • Abriss von Gebäuden erschweren
  • Ausbildung von Handwerkerinnen, Architektinnen und Ingenieuren: Lehrpläne in Richtung klimaschonendes, nachhaltiges Bauen umgestalten

 

Aus Alt mach Neu

„Einer der wichtigsten Grundsätze, die wir vertreten, lautet: Abriss vermeiden“, sagt Veit Burgbacher vom Verein Architects for Future (AFF). „Die graue Energie, die in jedem Gebäude steckt, ist unwiederbringlich verloren, wenn sie abreißen.“ Nur wenige Gebäude seien nicht erhaltenswert, weil etwa die Substanz zu schlecht sei, meint Burgbacher, allerdings mangele es vor allem am Sanierungswillen vieler Bauherren.

 

Die Grundfragen

Wir müssen uns die Frage stellen, wieviel Wohnraum wir eigentlich wirklich benötigen und ob der vorhandene Wohnraum durch einen gezielten Umbau vielleicht mehr Menschen beherbergen könnte. Alternative Wohnmodelle wie u.a. AltersWGs oder Senior plus Studenten usw. müssten noch viel stärker angedacht werden und der bereits vorhandene Wohnraum effizienter genutzt werden, um den Trend, immer mehr Boden und Rohmaterialien „aufzufressen“, umzukehren.